Vor dem Jubiläum



Demnächst wird es bei uns drei Jahre, dass wir zu unserer ersten „Wohnzimmer-Milonga“ einluden. Zudem wird es die 40. Veranstaltung dieser Art sein. Da meine Frau ein (natürlich streng geheimes) „Milonga-Tagebuch“ führt, konnte ich viele längst vergessene Tatsachen recherchieren. Als Naturwissenschaftler mag ich es nicht lassen, eine kleine Statistik zu erstellen:

Auf unseren bislang 39 Milongas nahmen insgesamt 590 Personen teil, das entspricht im Schnitt ziemlich genau 15 pro Termin. Die Quote der Frauen beträgt 57 Prozent.
Insgesamt waren bislang 83 verschiedene Besucher in Pörnbach – aus dieser Perspektive ergibt sich ein ähnlicher Frauenanteil von 54 Prozent.
Das bestätigt meinen Eindruck, den ich auch von den Milongas habe, welche ich öfters besuche: Das Geschlechterverhältnis ist relativ ausgeglichen – allenfalls ein paar Prozent mehr Frauen.

Vor diesem Hintergrund frage ich mich wirklich, was das aktuelle Gedöns um die „Gender-Balance“ (inklusive komplizierter Anmeldeverfahren plus Diskriminierung weiblicher Singles) eigentlich soll. Wenn Frauen auf Milongas lange herumsitzen, liegt es nicht an der zahlenmäßigen Relation, sondern am oft sehr selektiven Aufforderungsverhalten der Männer! Und auf Veranstaltungen, wo das anders ist, gibt es nicht zu viele Damen, sondern zu wenige Herren. Vielleicht sollte man gerade Anfängern unter ihnen nicht mit Körben kommen…

Mit alldem haben wir in Pörnbach kein Problem: Noch nie habe ich beobachtet, dass Tänzer bei uns Tangueras länger warten lassen. Im Gegenteil: Es wird sehr viel gewechselt – jede(r) kommt zum Tanzen. Zudem sind stets mindestens zwei Frauen anwesend, welche auch sehr gut führen können, was den leichten Männermangel mehr als ausgleicht.

Mit etwas Sorge sehe ich allerdings ein anderes Thema: Immer wieder höre ich bei Fragen nach unserer „Wohnzimmer-Milonga“ den Satz: „Ihr seid ja eh immer ausverkauft“ – sprich, Anmeldungen brächten nichts. Auch hierzu habe ich die Statistik bemüht: An 20 von 39 Terminen hätten wir bis zur letzten Minute noch Gäste akzeptieren können. Ansonsten klappt es fast immer, wenn man sich ein bis zwei Tage nach der Einladung auf Facebook https://www.facebook.com/gerhard.riedl/?ref=bookmarks oder www.tangobayern.de
bei uns meldet. Die Termine werden meist auch auf meinem Blog angekündigt.

Ansonsten kommt man auf eine Warteliste und wird sofort benachrichtigt, wenn durch Absagen Plätze frei werden. Insgesamt mussten wir aus Platzgründen (20 qm Parkett) nur 25 Gäste zurückweisen.
Also, nur Mut!

Ein größeres Problem sind für uns Absagen, welche im Normalfall sehr kurzfristig (oft in den letzten 24 Stunden) eingehen: Insgesamt erhielten wir bislang 54, also eine Quote von 8,4 Prozent. Wenn wir dann Leute von der Warteliste informieren, hilft das kaum noch: So kurzfristig können die meisten nicht reagieren, zumal sie sich inzwischen vielleicht etwas anderes vorgenommen haben.

Ich sehe natürlich die Zwickmühle: Da muss man sich schon zirka drei Wochen vorher anmelden und kann daher nicht immer überblicken, dass es am Termin denn doch zu knapp wird – plötzliche Erkrankungen sowie Unfälle natürlich eingeschlossen. Dennoch wären wir dankbar, rechtzeitig informiert zu werden, dass die Teilnahme unsicher ist und wir so schon mal Nachrücker darauf aufmerksam machen könnten!

Nachdenklich hat mich die Aussage eines Gastes gemacht, unsere Milonga sei alles andere als ein „gemütlicher Sonntagnachmittag bei Kaffee und Kuchen mit dekorativem Tänzchen außenrum“, sondern eher ein „sehr ambitioniertes Musikseminar, bei dem man/frau sich zum engagiert dargebotenen Wissen auch auf Wegen abseits des Mainstreamrepertoires tänzerisch-kreativ ausdrücken darf.“

In diesem Fall war das sehr positiv gemeint – ich zweifle jedoch nicht daran, dass uns dieser Ruf etliche Gäste kostet. Auch aus anderen Quellen weiß ich, dass man fürchtet, bei uns durch zu „schwierige“ Musik tänzerisch überfordert zu sein. Unsere werte Konkurrenz dürfte diese Botschaft gerne verbreiten helfen…

Richtig daran ist, dass ich oft ein bestimmtes Tangoensemble oder einen Solisten vorstelle – inklusive eines kleinen Textes in der Einladung sowie bei meinen Begrüßungsworten. Ich meine, dass gerade moderne Interpreten in der Szene fast völlig unbekannt sind. Und ja, ich finde, man sollte sich für die Musik interessieren, auf die man tanzt.

Übrigens: Kaffee und Kuchen gibt es bei uns durchaus!

Zugeben muss ich jedoch: Wer lieber auf tausend Mal gespielte Mainstream-Aufnahmen tanzt, weil ihn neue Musikerfahrungen verwirren, ist bei uns nicht gut aufgehoben. 
Immer wieder beobachte ich, dass unsere Gäste besser tanzen als der Durchschnitt – sicher auch wegen der Herausforderungen einer Musik, welche nicht gleichförmig dahinplempert. Ob man sich diesen stellen will, ist die Entscheidung jedes einzelnen.

Keinesfalls ist das aber so zu verstehen, dass Anfänger bei uns unerwünscht seien respektive eh keine Chance hätten. Im Gegenteil: Diese werden freundlich integriert und betanzt. Sollte ich bei uns jemals Ansätze von Hochnäsigkeit gegenüber weniger routinierten Besuchern bemerken, wäre der Urheber nicht länger Gast in Pörnbach. Bislang konnte ich dies jedoch nie erkennen.

Ein weiterer Zweck der Musikvorstellung ist es, jeder Milonga etwas Besonderes zu verleihen. Manchmal sind es stattdessen auch andere „Specials“ wie Gast-DJs, eine Buchvorstellung, Zauberei oder sogar eine Breakdance-Vorführung. Aber stets nur in der Länge einer Tanda – das Tanzen soll im Mittelpunkt bleiben!

Besonderes Highlight ist natürlich die Live-Musik unserer „Hauskapelle“, dem „Duo Tango Varieté“, welches zweimal im Jahr bei uns auftritt – stets auch mit neuen Titeln, da die Damen konstant an der Erweiterung ihres Repertoires arbeiten.

Hinsichtlich der „Códigos“ bleiben wir weiterhin ultimativ liberal: Jeder darf bei uns spinnen, wie er will – ob er nun klassisch, „nuevo“ bzw. „contangomäßig“ tanzt, auf Rondakurs, im Zickzack oder auf allen Vieren. So haben wir das in unseren Tango-Anfangsjahren kennengelernt, und da gab es ebenso wenig „Unfälle“ wie heute. Und natürlich darf auch jede(r) auffordern, wie er (oder sie) will. Körbe konnte ich bislang keine beobachten.

Manch Außenstehender kann (oder will) sich nicht vorstellen, dass dies gelingt. So schrieb neulich einer meiner Leser:

„Aber Du wärst auch nicht begeistert, wenn sich Gäste Deiner Wohnzimmer Milonga wie Rotz am Ärmel benehmen würden, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Du das dann einfach so laufen lassen würdest, weil‘s ja so schön wild und frei ist.“

Sorry, tut halt keiner! Das liegt wohl einerseits an der „privaten“ Atmosphäre, andererseits daran, dass sich ein bestimmter Menschenschlag gar nicht zu uns traut, da er hier keine Gleichgesinnten finden würde. Wir sind nämlich mit unseren paar Gästen in der Provinz uninteressant für Leute, denen es um „Machtspielchen“ geht. Die besuchen eher großstädtische Milongas oder geben Tanzunterricht. Daher bleibt unser Dorf-Tango" so klein, wie er ist!

Eines möchte ich aber in diesem Zusammenhang betonen: Wir betreiben keine öffentliche Veranstaltung. Zwar werden die Anmeldungen normalerweise in der Reihenfolge ihres Eingangs bestätigt – andererseits gibt es aber Personen, die ich bei uns nicht akzeptieren würde. Dies liegt aber nicht an Verstößen gegen „traditionelle Códigos“, sondern an einer elitären und asozialen Einstellung. Wer meint, ständig „Extrawürste“ bestellen zu können oder anderen das Gefühl gibt, sie seien eines Tanzes unwert, muss draußen bleiben. In der Praxis ist das aber kein Problem, da sich solche Zeitgenossen meist eh nicht um eine Einladung bei uns bemühen.

Ich bin inzwischen auch ziemlich immun gegenüber „Milonga-Gestaltungs-Bestimmern“. Sicherlich bedenke ich Anregungen und setze sie vielleicht auch eines Tages um – aber bei dieser Spezies kann man davon ausgehen, dass sie ihre „guten Ideen“ oft sehr schnell wieder vergessen und in keinem Fall zu ihrer Realisierung beitragen. Nein: Das Veranstalten einer gelungenen Milonga (von den Einladungen über die Bewirtung, Sozialkontakte, Tänze und Playlist) ist für mich ein „Gesamtkunstwerk“ und nicht das Ergebnis eines demokratischen Prozesses.

Die Musik steht im Mittelpunkt: Hier versuche ich, wieder „zusammenzuführen, was einst zusammengehörte“. Die Tangoszene driftet ja immer weiter auseinander: Auf dem Gros der Milongas bemüht man sich nach Kräften, eine stets wiederkehrende Zusammenstellung aus denselben 400 Titeln zu spielen – und „Neolonga“ bedeutet in der Regel Loungegesäusel mit dem Vorsatz, jede Ähnlichkeit zum Tango zu vermeiden. Veranstaltungen mit einer bunten Mischung von Tangostilen sind klar in der Minderheit.

Eines gebe ich zu: Als ich früher öffentlich auflegte, waren natürlich (etwa zur Hälfte) auch die „großen Orchester“ der EdO im Programm. Nachdem man diese Aufnahmen heute aber auf den meisten Milongas in Dauerbeschallung geboten bekommt, spiele ich eher moderne Versionen traditioneller Titel, die von einer riesigen Zahl von Interpreten in teils hervorragender Qualität geboten werden. „Non Tangos“ lege ich nur in homöopathischen Dosen auf – ausgenommen die letzte Tanzrunde, wo ich unseren Gästen – statt der abgenudelten Cumparsita – berühmte Tanzmusik-Interpreten (von Nat King Cole über Vico Torriani bis Max Raabe) vorstelle. Das muss dann nicht immer Tango sein, kann aber. Und die Playlisten sind auf meinem Blog einzusehen. Jeder, der zu uns kommt, sollte daher wissen, worauf er sich einlässt.

Bereits nach unserer ersten Veranstaltung habe ich unsere Ziele zusammengefasst:
Im Kern hat sich daran bis heute nichts geändert. Und wir glauben, das ist gut so. Gerade in der letzten Stunde entsteht meist eine „zauberhafte Stimmung“, wenn alle noch einmal tanzen und dieses Gefühl mitnehmen wollen. Das bewirken unsere wunderbaren Gäste – herzlichen Dank dafür!

Daher wird es die „Pörnbacher Milonga“ wohl noch lange geben – vielleicht irgendwann mit dem DJ im Rollstuhl neben der Musikanlage. Da kann ich unglaublich stur sein!

P.S. Wer es noch nicht kennen sollte: eine kleine Momentaufnahme von unserem Parkett. Sie entstand ganz unvorbereitet, als Manuela spontan zu ihrem Smartphone griff. Die Musik ist die „Habanera“ von Las Sombras.

Kommentare

  1. Robert Wachinger30. Januar 2018 um 19:03

    Hi Gerhard,

    "Wenn Frauen auf Milongas lange herumsitzen, liegt es nicht an der zahlenmäßigen Relation, sondern am oft sehr selektiven Aufforderungsverhalten der Männer!"
    das klingt etwas einseitig, das hattest du etwas ausgewogener jüngst in ein paar Blogartikeln. Natürlich liegt es auch oft an der Dame, wenn ich sie nicht auffordere. Und ich denke, wenn eine Frau lange sitzt, sollte sie sich mal die vielen Artikel zu Gemüte führen, wie man Männer dazu bringt, dass sie einen auffordern ;-)

    Ansonsten aber: Danke für deine Wohnzimmermilonga, für deine erfrischende Musikauswahl, und dafür, dass du es ganz offenbar schaffst, das "richtige" Publikum anzulocken ;-)

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    1. Lieber Robert,

      na klar, du schreibst ja selber: „Natürlich liegt es auch oft an der Dame, wenn ich sie nicht auffordere.“ Das ist eben „selektives Aufforderungsverhalten“, oder? Zu den vielfältigen Gründen hierfür habe ich mich in früheren Artikeln geäußert.

      Wir freuen uns natürlich sehr über Dein Lob unserer Milonga! Ich weiß allerdings nicht, ob es uns gelingt, das „richtige“ Publikum anzulocken. Jeder Mensch hat ein gewisses Reaktionsspektrum. Je nach den Umständen fällt das so oder anders aus. Wenn man eine bestimmte Atmosphäre schafft, verändert das bei jedem das Verhalten in positiver Richtung.

      Aber es kann schon sein, dass die „ganz Falschen“ sich wirklich nicht anmelden…

      Herzliche Grüße
      Gerhard

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